Das Stück von Friedrich Dürrenmatt ist nicht nur ein Klassiker der deutschsprachigen Literatur, sondern womöglich eines der Stücke, die am häufigsten im Schulunterricht behandelt werden. Im Falle des Literaturkurses der Q1, unter der Leitung von Frau Keßler und Frau Schmitz, im Schuljahr 2022/23 gestaltete es sich jedoch so, dass die Teilnehmer/-innen des Kurses das Stück nicht aus dem Unterricht kannten, sondern sich nach einigen selbständigen Recherchen mehrheitlich für die Aufführung des ihnen bis dahin unbekannten Stückes entschieden. Zur Auswahl des Textes kann man nur gratulieren, denn er ermöglichte den Schüler/-innen, sich mit den verschiedenen Charakteren und ihren Handlungen auseinanderzusetzen und dabei die brandaktuellen Themen Wissenschaft, Ethik und Verantwortung zu bearbeiten.
Seit Dezember 2022 beschäftigte sich der Kurs mit den Proben und den Inszenierungsentscheidungen zu Textbearbeitung, Besetzung, Requisite oder Kostümen. Am 1.6.2023 konnten die 17 Schülerinnen und 8 Schüler des Kurses endlich zeigen, woran sie lange gearbeitet hatten: Die Inszenierung des Stücks war sehr gelungen und hat die Zuschauer/-innen im Atrium des St.-Ursula-Gymnasiums mit Charme und Spielfreude in den Bann gezogen.
Um jeder/m Beteiligten der großen Gruppe die Möglichkeit einer vielseitigen Bühnenerfahrung zu bieten, wurde konsequent mit den Methoden der Textkürzung und -aufteilung, Mehrfachbesetzung, Rollentausch, chorischem Sprechen und Gestikulieren sowie einigen surrealen Szeneneinschüben gearbeitet, was jedoch immer zu einem tieferen Verständnis der Stückaussage beitrug und zu jeder Zeit für das Publikum nicht nur transparent blieb, sondern mitunter für intendierte Heiterkeit sorgte.
Highlights der Bühnenkomik waren u. a. der Auftritt entsetzlich blockflötender Rose-Buben, ein pastoral missionierender Herr Rose mit seiner zuckersüßen Frau Rose, gleich fünf dauernd müde Einsteins mit charmantem Schnauzbart oder auch zahlreich tattrig vewirrte und Cognac trinkende Newtons. Die Rollen der beiden Physiker trieften von einer Ambivalenz für den Zuschauer, der verdutzt zusehen musste, wie sich die beiden verrückten Physiker auf einmal in beinharte sich duellierende Geheimagenten verwandelten. Ebenso blieb Möbius, der dritte Physiker im Bunde, in Erinnerung, der in seiner Warnung vor den Risiken der Wissenschaften seiner Rolle Tiefgang und besondere Eindrücklichkeit verlieh. Um diese drei verrückten Physikern tänzelte zunächst ein fürsorgliches Fräulein Doktor von Zahnd herum, deren Rolle sich, gleichfalls ambivalent, in die einer größenwahnsinnigen und weltbeherrschenden Irrenärtzin verwandelte. Nicht unerwähnt soll ein zuerst sehr skeptischer und aufbrausender Kriminalinspektor bleiben, der nach dem zweiten Mord in der »Anstalt« den Geisteszustand eines mordenden Psychopathenten als vollkommen normal hinnimmt und die Gerechtigkeit in die Ferien entlässt.
Alle Schauspieler/-innen füllten ihre – teils wechselnden - Rollen sehr überzeugend aus, so dass die verschiedenen Charaktere und Stimmungen des Stücks greifbar wurden. Besonders beeindruckend gestaltete sich die Mordszene, die durch eine vorangestellte harmonische Walzereinlage kontrapunktiert wurde und als Tanzfigur in die Massenszene eingebettet war.
Das sehr minimalistische Bühnenbild und die Requisiten passten sehr gut zum Stück und erlaubten es, die Aufmerksamkeit auf die Handlung und die Charaktere zu lenken, die – alle im schwarzen Grunddress - ebenfalls durch wenige Kostümteile ihre Rolle übernahmen. Wohlplatzierte Licht- und Toneffekte haben das Stück zusätzlich unterstützt und für eine spannende Atmosphäre gesorgt.
Insgesamt war diese Inszenierung von »Die Physiker« ein äußerst gelungenes Theatererlebnis, das – anders als die überladenen Inszenierungen der großen Schauspielhäuser der letzten Jahre – auf Wesentliches zurückkam und dadurch zum Nachdenken anregte. Das Surreale, Groteske und bisweilen Komische ließ die Zuschauer/-innen auf unterhaltsame Weise in die Abgründe der menschlichen Natur blicken.
Die konzentrierte Arbeit, die Sonderproben, der Mut und die Spielfreude aller Beteiligten haben sich gelohnt und sorgten schließlich für ein außergewöhnliches Theatererlebnis.
Vielen Dank, lieber Literaturkurs,
vielen Dank, Frau Keßler und Frau Schmitz
(BN)